Langzeitpflege bezeichnet die Pflege und Betreuung von Menschen, die aufgrund ihres hohen Alters, einer Krankheit oder Behinderung dauerhafte Unterstützung im Alltag benötigen. Während in der Akutpflege die Heilung der Erkrankung oder Linderung der Symptome im Fokus stehen, geht es in der Langzeitpflege um den Erhalt von einem selbstbestimmten Leben. Renata* war 25 Jahre in der Akutpflege tätig, ist dann in die Langzeitpflege gewechselt und leitet in diesem Bereich ein eigenes Pflegeteam. Im Gespräch mit Solidarität spricht sie darüber, wie sehr die Arbeitsbedingungen und fehlende Wertschätzung die Pflegekräfte belasten.

Solidarität: Wie schaut ein durchschnittlicher Arbeitsalltag deiner Mitarbeiter*innen aus?

Renata: Beginn ist um 7.00 Uhr, meine Mitarbeiter*innen kommen zu den Bewohner*innen, messen ihren Blutdruck, teilen Medikamente aus. Bei mir arbeiten sowohl diplomierte Krankenpfleger*innen als auch Pflegeassistent*innen, die verschiedene Aufgaben haben. Die Diplomierten kümmern sich z.B. um die arbeitsaufwendigeren Bewohner*innen. Zu der täglichen Routine kommen dann noch die Notrufe dazu, wenn es einen Notfall bei einem Patienten oder einer Patientin gibt. Ein*e Krankenpfleger*in ist ständig nur „auf Achse“.

Solidarität: Für wie viele Personen ist eine Pflegekraft zuständig?

Renata: Der Betreuungsschlüssel richtet sich nach den Pflegestufen. In der Regel arbeiten bei uns eine Diplomierte mit 10 bis 12 Stunden pro Tag und eine Halbtageskraft mit fünf bis sechs Stunden. Dazu kommen noch zwei Pflegeassistent*innen für zehn bis zwölf Stunden pro Tag. Sie sind somit zu dritt oder zu viert für ca. 150-160 Bewohner*innen. Davon benötigen 30 bis 35 aufwendige Pflege. Da kannst du dir vorstellen, wie arbeitsintensiv deren Alltag ist.

Solidarität: Wo siehst du die grössten Herausforderungen in dem Beruf?

Renata: Sie sind mit vielen Dingen konfrontiert, die man im Krankenhaus so nicht erlebt: Im Unterschied zum Spital tragen meine Mitarbeiter*innen mehr Verantwortung, da kein ärztliches Personal rund um die Uhr anwesend ist. Sie müssen schnell und allein entscheiden. Das stellt eine große Belastung dar.

Darüber hinaus ist der mangelnde Respekt von vielen Menschen ein großes Problem. Ich selbst habe diese Arbeit früher nicht wertgeschätzt. Dass die Wertschätzung selbst in der eigenen Berufsgruppe fehlt, ist schon problematisch. Noch schlimmer ist jedoch der mangelnde Respekt der Bewohner*innen. In der Langzeitpflege arbeiten viele Menschen mit Migrationshintergrund. Meine Mitarbeiter*innen erleben oft Rassismus. Das ist sehr verletzend. Ich habe sie heute gefragt, wie es ihnen geht und sie haben gesagt, sie hätten das Gefühl, keinen Stellenwert in der Gesellschaft zu haben. Sie werden gar nicht gesehen. Dabei ist es bemerkenswert, was meine Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger*innen und Pflegeassistent*innen täglich leisten!

Solidarität: Wie sieht ihre Ausbildung aus?

Renata: Meine Mitarbeiter*innen sind größtenteils akademisiert. Sie haben im Ausland ihre Ausbildung gemacht und dort einen Fachhochschulabschluss oder Universitätsabschluss gemacht. Die ist je nach Land sehr unterschiedlich, deshalb lässt sich das nicht verallgemeinert beantworten.

Solidarität: Wie wirkt sich der Beruf auf die physische und psychische Gesundheit deiner Mitarbeiter*innen aus?

Renata: Es ist ein sehr belastender Beruf, sowohl physisch als auch psychisch. Ich habe gelernt, immer wenn es nur irgendwie möglich ist, zu zweit die pflegerischen Handlungen durchzuführen. Meine Mitarbeiter*innen geben viel. Wenn sie dann mit rassistischen und entwertenden Aussagen konfrontiert sind, macht das natürlich was mit ihnen. Sie fangen wieder an zu zweifeln, ob das der richtige Job ist. Wir haben die Möglichkeit der Supervision. Meine Mitarbeiter*innen nehmen das auch wahr, wir haben auch viele Fortbildungen zur psychischen Gesundheit. Ich habe das Gefühl, dass sich meine Mitarbeiter*innen auch von unserer Betreuungseinrichtung unterstützt fühlen.

Solidarität: Was sind deine persönlichen Forderungen?

Renata: Mehr Wertschätzung in der Gesellschaft! In der Langzeitpflege leisten meine Mitarbeiter*innen so viel wertvolle Arbeit. Es sind unsere Angehörigen, um die sie sich kümmern. Es braucht auch mehr Wertschätzung vonseiten der Politik! Klatschen ist nicht genug!

Ich finde es traurig, dass das erst jetzt in der Pandemie zum Thema geworden ist. Die Pflegenden fühlen sich schon lange nicht mehr wertgeschätzt. Es musste erst zu einer Pandemie kommen, damit dieses Thema publik wird.

 

* Der Name wurde aus Anonymitätsgründen geändert.

 


Die Kampagne der Solidarität für bessere Arbeitsbedingungen

• “Klatschen ist nicht genug” – Alle Forderungen der Solidarität findest du hier.
• Über 2.700 Menschen haben unsere Petition unterschrieben.
• Über 1.000 Personen haben ein Kommentar für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege hinterlassen.
Kontrast.at, NeueZeit.at und Zett haben über unsere Kampagne berichtet.
• Schau dir hier unsere Videos mit 24-Stunden-Betreuer*innen und Pflegekräften an.